Agile Skalierungs-Frameworks ? Brauchen wir nicht !
Vor ein paar Tagen ergab sich mit einem frisch zertifizierten Vertreter (eher leidenschaftlicher und stolzer Verfechter) eines der “agilen Skalierungs-Frameworks” eine sehr intensive, teils dogmatisch wirkende Diskussion.
Mein Resümee nach vielen eigenen Erfahrungen mit Agile Transition- und Skalierungsvorhaben für 1.000+ Menschen und 100+ Mio. EUR Budget ist:
Wir brauchen diese speziellen „agilen“ – eigentlich marketing-getriebenen, pseudo-agilen – Frameworks nicht!
(und damit bin ich nicht allein /1/)
Menschlich ?
Der Hype um die konkurrierenden „agilen“ Skalierungs-Frameworks /3/ zeigt unter anderem, dass es bei den Old School-Managern, Vorständen und Unternehmern einen Bedarf für “Schema F”-Anleitungen gibt. Das ist menschlich.
Dieses Bedürfnis zieht naturgemäß entsprechende Antworten nach sich. So zum Beispiel Marketing-, Dienstleistungs- und weitere “Geld-Druck”-Angebote rund um diese Frameworks. Auch menschlich.
Neues, Unbekanntes verursacht Unsicherheit, Unbehagen, manchmal Ängste. So auch das komplexe Thema Agilität und eine nochmals komplexere Skalierung. Sehr menschlich.
Die immensen Herausforderungen Rahmenbedingungen für einen komplexen Kulturwandel und Mindset-Änderungen nachhaltig zu schaffen wirkt da “unendlich” aufwändig. Und damit unattraktiv. Wiederum menschlich.
Dann hat es natürlich Charme, wenn diese Frameworks versprechen, qua Checklisten und Schablonen eine agile Skalierung vermeintlich “einfach und sicher” abarbeiten zu können. Und dies über die diversen Organisations-Ebenen, Einheiten und Strukturen. Erneut menschlich.
Komplexes reduziert sich damit vorgeblich auf nur noch Kompliziertes, Kompliziertes soll einfach werden. Eine scheinbar ideale Antwort, die aber immer wieder zu → Cargo Cult und gescheiterten Vorhaben führt.
Menschlich !
Blueprints sind ungeeignet
“Prozesse und Werkzeuge” fühlen sich für die verantwortlichen C-Level-Führungskräfte einfacher, vertrauter und beherrschbarer an, als die beschriebenen “Individuen und Interaktionen” et al. /2/
Die agilen Skalierungs-Frameworks suggerieren, dass diese als “Blueprint” mit einfachen und vorgefertigten Rezepten für diesen komplexen Wandel taugen.
Dies leisten sie aber nicht!
Jedes Unternehmen ist anders: mit seinen Märkten und Produkten, den Menschen, Netzwerken und der ganz eigenen Kultur.
Der Wunsch und Versuch “One size fits all”-Blueprints diesen Organisationen überzustülpen hilft nicht. Scheitert. Regelmäßig.
Quod erat expectandum / demonstrandum.
Spezielle “Agile Skalierungs-Frameworks” sind unnötig
Jede Organisation muss und wird ihren eigenen Weg hinzu Agilität und entsprechend bei der Skalierung von Agilität finden.
Besinnen wir uns dabei auf die Intention des Agile Manifesto’s /2/ mit “Einleitung, den agilen Werte und Prinzipien” als Fundament und wenden diese in ihrem ganz ursprünglichen Kern an:
unverwässert, ganzheitlich, mit Sinn und Verstand – vor allem: erwachsen und weise. /1/
Auch bei Skalierungsvorhaben in Organisationen mit 10, 100 oder mehreren 1.000 Menschen.
Weniger ist mehr!
Was sind Deine Erfahrungen? Sind diese speziellen Frameworks für Dich notwendig? Wobei helfen sie Dir? Was ist Deine Meinung dazu?
CU
@ Boeffi .net aktualisiert am 27.06.2018
/1/ ScALeD Principles → scaledprinciples.org
/2/ → Manifesto for Agile Software Development
/3/
- Nexus – The exoskeleton of
scaled Scrum → scrum.org/Resources/The-Nexus-Guide - LeSS – Large-Scale Scrum → less.works
- SAFe – Scaled Agile Framework → scaledagileframework.com
- usw.
Hallo Boeffi,
vielen Dank für diesen interessanten Blogartikel der vor allem die menschlich psychischen Vorgänge betrachtet. Genau dieses Gebiet sollte eigentlich unseren Fokus darstellen (uns = Coach-Kollegen).
Wie verhält sich Mensch eigentlich, wenn dieser in Kontext X mit Herausforderung y konfrontiert wird? Jedes System funktioniert anders. Natürlich kann Coach dies nicht mit einem Schema X lösen. Es sollte immer die Herausforderung sein für die gegebene Situation die beste bzw. angepasste Lösung zu finden. Nur – wie mache ich das am besten?
Das als Feedback. Schön fände ich noch, wenn du deine Erfahrung als Coach, aus deiner Perspektive mit uns teilen würdest. Nach dem Motto: „Ich befand mich in der Situation und habe aus Coach-Perspektive so gehandelt, weil ……., weil das System …. gebraucht hat.“ Wäre sehr spannend 🙂
Liebe Grüße
Andrea Hanna
Hi Boeffi,
ich finde es gut, dass es diese Frameworks gibt.
Nicht, weil wir das einfach blind implementieren und damit auf magische Art und Weise alle Probleme lösen.
Wenn wir einem Konstrukt einen Namen geben, haben wir schneller ein gemeinsames Verständnis davon, worüber wir überhaupt reden.
Das macht das Diskutieren einfacher und der Austausch findet schneller statt
Viele Grüße
Oli
Lieber Felix,
danke für Deinen Impuls.
Bei der Idee „Werkzeugkasten“ werde ich zunehmend skeptischer.
Zum einen sollte die Idee eines konkreten Werkzeuges verstanden werden. Im speziellen, wie im allgemeinen Kontext. So verliert z.B. die berühmte Schraube, die mit einem Hammer in eine Kellerwand getrieben wird, ihre spezielle Funktion…
Zum anderen findet man häufig Vermeidungsstrategien beim Einsatz von Werkzeugen, wenn diese zwar passend und sinnvoll wären, aber gerade irgendwie zu aufwändig erscheinen bzw. sogar – wie auch immer – derzeit weh tun. Um im Bild zu bleiben: beim Hausbau kann bei der Planung mit dem Verzicht auf eine Drainage kurzfristig viel Geld gespart werden, langfristig wird dies zum finanziellen Eigentor (Stichwort: technische Schulden…).
Alles in allem werden Frameworks (und ihre Werkzeuge) häufig als „Schema F“-Rezepte („ohne Sinn und Verstand“) verstanden und – fragwrüdig – eingesetzt (Stichwort: Cargo Cult), oder halten als Alibi-Argumentation her (Beispiel des „Werkzeuges Definition of Done“: „DoD … ja klar, haben wir – irgendwo – im Wiki…“).
CU
Boeffi
Schau an, an dem Thema denke ich auch gerade herum (ist aber auch ein Klassiker): https://quereinstieg.blogspot.com/2015/12/scaled-agile-hybrid-strukturen-meta-teams.html
Ich finde, dass man die Skalierungs-Frameworks gut als „Werkzeugkasten“ benutzen kann. Man wird nie alle Werkzeuge daraus gleichzeitig brauchen, aber das eine oder andere kann je nach Kontext durchaus Sinn machen. Grundlegende Zweifel habe ich nur da wo als Agil getarnte Wasserfälle aufgebaut werden, da sollte man lieber die Finger von lassen.
Lieber Carsten,
vielen Dank für Dein Feedback.
Wir dürfen die Entscheider natürlich nicht allein lassen. Ein zusätzliches „Schema F“-Framework ist halt nicht die Antwort (auch wenn man damit mit viel, viel Geld verdient).
Mit den „agilen Werten und Prinzipien“ haben wir alles an Bord: für die kleine Agile Transition, für mittlere und für die ganz großen Agile Change-Vorhaben.
Diese müssen nur erwachsen, weise und ehrlich ausgestaltet und vor allem „gelebt“ werden – mit allen beteiligten Menschen.
Danke nochmals…
CU
Boeffi
Danke – das ist sehr nah an dem, was mir immer wieder bei diesem Thema durch den Kopf geht – nur deutlich eloquenter 😉
Insbesondere mein Eindruck, dass mit diesen Frameworks primär mal Entscheiderpositionen als Organisationen angesprochen werden, kommt hier schön raus.